31. August 2010

Urlurch neu betrachtet:

Odenwaldia heidelbergensis

Die Odenwaldia heidelbergensis war ein nicht gerade kleines Amphibium der Buntsandstein-zeitlichen Flusslandschaften. Einen im Sandstein verewigten Schädelabdruck von 28 cm Länge fand man im Jahr 1961 in Waldkatzenbach im südlichen Odenwald (Bild: Hahl). Die kleine Ortschaft am Fuße des 626 m hohen Katzenbuckel-Vulkanrelikts gilt seit der wissenschaftlichen Fundzuordnung durch Morales & Kamphausen im Jahr 1984 als Typlokalität dieses Urlurchs und wird somit in den wissenschaftlichen Beiträgen aller Welt zusammen mit dem Namen des amphibischen Lauerjägers aufgeführt.

Ein schöner populärwissenschaftlicher Beitrag zum Waldkatzenbacher Riesenlurch wurde im Jahr 2007 von Dr. Marco Lichtenberger publiziert, der in seinem Buch "Saurier aus dem Odenwald" auch unseren amphibischen Flussriesen unter die paläontologische Lupe nahm. Eine der internationalen Fachkoryphäen auf dem Forschungsfeld triassischer Amphibien - er promovierte über den Mastodonsaurus - ist Dr. Rainer R. Schoch vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Er veröffentlichte nun, bereits im Dezember 2008, einen paläontologischen Artikel, der sich zentral mit einer Neuklassifizierung der Odenwaldia heidelbergensis befasst. Darin heißt es "Die Phylogenie der Capitosaurier, der größten Amphibien der Erdgeschichte, wird noch immer kontrovers diskutiert. Als entscheidendes Taxon in dieser Debatte gilt Odenwaldia heidelbergensis aus Waldkatzenbach, die hier neu beschrieben wird."

Für alle Freaks, die mehr davon wissen wollen - bitte hier entlang... zur wissenschaftlichen Publikation von Rainer R. Schoch (2008): The Capitosauria (Amphibia): characters, phylogeny and stratigraphy. In: Palaeodiversity 1: 189–226; Stuttgart, 30.12.2008.


Literaturüberblick zur Odenwaldia:

MORALES, M. u. KAMPHAUSEN, D. (1984): Odenwaldia heidelbergensis, a new benthosuchid stegocephalian from the Middle Buntsandstein of the Odenwald, Germany. In: Neues Jahrbuch Geologie Paläontologie. Mh., 1984 (11). Stuttgart. S. 673 ff.

SCHOCH; R.R. (2008): The Capitosauria (Amphibia): characters, phylogeny and stratigraphy. In: Palaeodiversity 1: 189–226; Stuttgart, 30.12.2008.

SIMON, W. (1961): Ein Riesenlurch aus dem Odenwald. Fundbericht. In: Der Aufschluss, H.12, Heidelberg, S.128 ff. [nur ein Fundbericht, explizit noch keine wissenschaftliche Bearbeitung]

25. August 2010

Die Kalköfen von Dallau und Neckarburken

Technische Kulturdenkmäler an der
Buntsandstein-Muschelkalk-Grenze

Die beiden Elztaler Kalkschachtöfen in den Ortsteilen Neckarburken und Dallau (Neckar-Odenwald-Kreis, Baden-Württemberg) wurden wohl erstmals im 19. Jahrhundert errichtet. Die Kulturtechnik des Kalkbrennens ist freilich schon über 4000 Jahre alt, geht auf den östlichen Mittelmeerraum zurück und wurde in unserer Region von den Römern eingeführt. Überall dort, wo Gebäude nicht nur aus Holz, Lehm oder Trockenmauern bestehen, sondern aus verbundenem Mauerwerk, benötigte man Kalkmörtel. Auch zum Verputzen und Weißen der Fassaden, zum Düngen und für viele weitere Bereiche wurde Kalk verwendet. Hierzu musste Kalkstein in speziellen Brennanlagen aufbereitet werden. (vgl. Bild 1, überdachte Brennofenanlage Elztal-Neckarburken, Foto: Hahl)

Vom Muschelkalk zum Mörtel

Kalkstein? Kalk? Mörtel? Was ist überhaupt der Unterschied? Kalkstein ist ein weit verbreitetes Sedimentgestein. Es besteht – genau wie Marmor und Kreide – aus einer als Calciumcarbonat (CaCO3) bezeichneten chemischen Verbindung. Größere Kalksteinvorkommen finden wir in der Schwäbisch-Fränkischen Alb und natürlich im Muschelkalk, beispielsweise im südöstlich an den Odenwald grenzenden Bauland. Im Kalkofen wird ab einer Temperatur von etwa 800°C Kohlendioxid aus dem Kalkstein ausgetrieben, wodurch Calciumoxid (CaO), das heißt Branntkalk entsteht. Kommt dieses weiße Pulver mit Wasser in Berührung, bildet sich „gelöschter Kalk“, der wiederum mit Sand vermischt zu Kalkmörtel verarbeitet wird.

Die Neckarburkener und die Dallauer Brennanlagen funktionieren, wie bei den dörflichen Kalkschachtöfen ab dem 19. Jahrhundert üblich, nach einem einfachen Prinzip (vgl. Bildauszug einer Naturparktafel sowie nachfolgendes Bild des Brennschachts; Aufnahmen: Hahl). Als Brennraum dient ein mit Kalk- und Sandstein doppelwandig gemauerter, trichterförmiger und nach oben offener Schacht mit zwei bis drei Meter Durchmesser. Dieser kann mit mehreren Lagen aus Kalksteinbrocken und Holzkohle befüllt werden, in jüngeren Zeiten verwendete man auch Steinkohle oder Koks mit höherem Brennwert. Von unten wird der Kalkofen befeuert, nach oben können die Rauchgase abziehen. Sobald die tiefsten Lagen aus Kalkstein und Kohle glühen, wandert der Brand innerhalb von etwa drei bis vier Tagen bei Temperaturen um 1000°C durch alle Schichten hindurch nach oben. Nach abgeschlossenem Brennvorgang kann man die porösen Branntkalkbrocken entnehmen und weiterverarbeiten.















Erdgeschichte schafft Wirtschaftsweise

Natürlich ist es kein Zufall, dass in den Elztaler Ortsteilen Dallau und Neckarburken heute gleich zwei restaurierte Kalköfen zu finden sind. Wie so oft, wirkt sich auch hier das anstehende Gestein auf Kulturgeschichte, Technik und Wirtschaftsweise aus. Die Erdgeschichte greift weit in die historische Entwicklung. Elztal mit seinen Ortsteilen liegt am Übergang vom Buntsandstein zum Muschelkalk. Die Gesteinsgrenze steht gleichsam für die kulturräumliche Unterscheidung in Odenwald und Bauland. Gerade hier war die Einrichtung von Kalkschachtöfen effektiv.

Bereits erwähnt wurde, dass der trichterförmige Brennschacht doppelt gemauert ist: Der äußere Mauerring ist mit Kalkstein, der innere mit Sandstein aufgebaut, dessen Erweichungspunkt auf höherer Temperaturstufe liegt. Auch gab es aus dem Buntsandstein-Odenwald, als die Wälder durch Übernutzung noch weiträumig dezimiert waren, ein ausreichendes Brennholz- und Holzkohleangebot, um die Kalköfen befeuern zu können. Im Bauland selbst überwogen landwirtschaftlich genutzte Flächen, die kaum Brennmaterial lieferten. Die Kalksteine indes konnte man aus den lokalen Muschelkalkbrüchen gewinnen.

Also wundert es nicht, dass im geologischen Grenzsaum der Gemeinde Elztal gleich zwei Kalköfen als technische Kulturdenkmäler erhalten blieben und restauriert werden konnten. Auch die Römer, die ja einst die Innovation des Kalkbrennens nach Germanien brachten, nutzten schon vor fast 2000 Jahren die hier anstehenden Gesteine. Unweit des Kohortenkastells auf Neckarburkener Gemarkung fand man, als 1991 das Schulgebäude erweitert wurde, einen vollständig bestückten römischen Kalkofen, der aber im Zuge der Siedlungsbaumaßnahmen nicht konserviert werden konnte.

Es war ein langer Weg zur Restaurierung der beiden historischen Kalköfen in Neckarburken und in Dallau, der ohne das persönliche Engagement von Bürgermeister Wilhelm Götz und einigen begeisterten Bürgern nicht denkbar gewesen wäre. Im Mai 2010 wurde in Elztal zudem ein Kalkofenwanderweg eingerichtet.

Publiziert im GPS-Guidesystem "WanderWalter", abrufbar unter http://karte.wanderwalter.de/naturpark-neckartal-odenwald/ - im Auftrag der Gmd. Elztal

19. August 2010

Der Hellerberg und seine "Andesit-Rose"

Neubetrachtung eines geotouristischen Highlights in Freisen (Saarland)

Michael Hahl M.A., Geograph u. Geologe















Hoch über den Dächern der Ortschaft Freisen im Saarländer Landkreis St. Wendel erstreckt sich der Rücken des Hellerbergs mit seiner atemberaubenden Gipfelaussicht aus 596 Meter üNN. Bild 1 (Aufnahme: Hahl) zeigt ihn vom Ortsteil Oberkirchen aus betrachtet.

Im aufgelassenen Steinbruch am Hellerberg wurde jahrzehntelang Andesit abgebaut. Dabei handelt es sich um ein magmatisches Ergussgestein, das sich in einer Phase des permischen Vulkanismus, vor über 280 Millionen Jahren, bildete. Heute lassen sich am Hellerberg noch mehrere einstige Lavaströme nachweisen, und in randlichen Mandelstein-Zonen machten die heimischen Mineraliensammler faszinierende Achatfunde, die in den Mineralienmuseen in Freisen und im Ortsteil Oberkirchen bewundert werden können (Bild 2: Beispiel eines Achatfundes aus dem Museum Oberkirchen, Aufnahme: Hahl).















„Geköpfte“ Magmenintrusion?

An einigen Stellen zeigt der Hellerberg-Andesit plattige Abspaltungen, die sich aus dem überwiegend kompakten Magmagestein herausheben. Zu diesem Formenschatz gehört letztlich auch eine eindrucksvolle halbkreisförmige Felsstruktur, die sich etwa 15 Meter hoch an einer Steinbruchwand abzeichnet (Bild 3, Aufnahme: Hahl).















Die Entstehung dieser "Basaltrose", wie der Aufschluss bislang umgangssprachlich bezeichnet wurde - ungeachtet der eigentlich andesitischen Zusammensetzung -, wirft Rätsel auf: Manche sehen hierin das Stein gewordene Zeugnis eines sich vorwärts bewegenden Lavastroms (vgl. LAARMANN, Ursel, o.J., Das Geschenk der permischen Vulkane. In: Achat. Der Edelstein, aus dem Idar-Oberstein entstanden ist. extraLapis No. 19., S. 29; MINERALIENVEREIN FREISEN, 2008, Glanzlichter aus dem Zentrum der Achate. S.4). Andere halten die Form dagegen für den Aufschluss einer nach oben gerichteten domartigen oder auch horizontal verlaufenden Intrusion, das heißt den Rest einer magmatischen Schmelze, die sich in das bereits erstarrte Vulkangestein hineindrückte (vgl. SCHNEIDER, Horst, 1991, Sammlung geologischer Führer. Saarland. S. 188).

Aus dieser Vorstellung wurde in der Frühphase der Recherchen folgende erste Skizze - ohne Anspruch auf abschließende Lösung des Andesitrosen-Rätsels - entwickelt:



















Die mit dieser Illustration verbundene Vorstellung geht davon aus, dass die andesitische Intrusion, das unterirdische Ganggestein, später von der Jahrmillionen währenden erosiven Einwirkung freigenagt wurde. Aufgrund von Druckentlastung und Verwitterung bildeten sich oberflächenparallele Risse und halbrunde Ablösungsflächen. Unbekannt ist derzeit noch der Winkel, in der die Intrusion durch den Andesitkörper eingedrungen sein könnte. Eindeutige Fließstrukturen wurden bislang noch nicht gefunden. Geowissenschaftliche Forschung, vielleicht im Rahmen einer Diplomarbeit, könnte weiterhelfen.

Ergänzung vom 22. Juni 2011: Dieser Darstellung vom August 2010 folgten weitere Geländebegehungen und Überlegungen, die sich schließlich mit einem umfassenderen Genese-Konzept in der Tafelstation 7 des "Achatwegs Freisen" komprimiert niederschlugen. Nach wie vor ist zu vermuten, dass die Form durch eine magmatische Strömung - Lavastrom, Intrusion oder Nebenkrater - initiiert wurde, was sicherlich erst durch weitere Analysen tatsächlich belegbar sein kann. Allerdings scheint mir die Exfoliation durch Druckentlastung letztlich die entscheidende Rolle bei der Entstehung des zwiebelschalenartigen Aufbaus gespielt zu haben, wie einige vergleichbare Formen in den andesitischen Hellerberg-Aufschlüssen nahe legen. Diese zeigen nicht immer halbrunden bis runden Schalenbau, sondern auch wellenartige plattige Absonderungsphänomene, welche nur ungenügend mit der Bildung aus einem magmatischen Strom erklärbar wären, stattdessen aber die Bedeutung der auf die Landoberfläche bezogenen Schalenbildung (Druckentlastung!) in den Vordergrund stellen.

Weitere Informationen: Einweihung des Achatwegs Freisen

Nachtrag 2011 - nach Eröffnung des "Achatwegs";
Tafel 7 (zum Vergrößern bitte anklicken):


















Hier eine Impression von der Eröffnung des Achatwegs Freisen:


















Wie durch ein Fenster in die Erdgeschichte kann man am Hellerberg heute den sehenswerten Andesit-Aufschluss im Querschnitt bestaunen. - Vermutlich war die heutige scheibenartige Form sogar einmal kugeliger ausgeprägt respektive halbkugelig, weil der untere Teil der bizarren Felsstruktur an der Steinbruchwand nicht aufgeschlossen ist. Bei der charakteristischen Schalenverwitterung magmatischer Gesteine ist die kugelige Formung gar nicht so selten. Bild 4 (Quelle: wikipedia) zeigt zum Vergleich die so genannte "Steinerne Rose" im thüringischen Saalburg-Ebersdorf, ganz sicher ebenfalls das Werk der Verwitterung, gekoppelt an eine erosionsbedingte Druckentlastung.

"Basaltrose“, „Andesitrose“ oder „Freisener Felsscheibe“?

„Basaltrose“ – das klingt gut, und doch ist der Name geowissenschaftlich nicht haltbar und damit auch nicht im Sinne einer hochwertigen geotouristischen Entwicklung. Dass es sich nicht um Basalt, sondern um den quarzreicheren Andesit handelt, ist allgemein bekannt. Die Basaltzuordnung dürfte umgangssprachlich aus der landläufigen Steinbruchterminologie herstammen und wurde wohl seither im Volksmund fortgeführt, wie an vielen anderen Steinbrüchen mit "basaltähnlichen" Gesteinen ebenso - etwa am Katzenbuckel im südlichen Odenwald, dessen "Basaltgesteine" genau genommen als Phonolit und Syenit anzusprechen sind (vgl. SCHMITT A.K., MARKS M.A., NESBOR H.D., MARKL G., 2007, The onset and origin of differentiated Rhine Graben volcanism based on U-Pb ages and oxygen isotopic composition of zircon, Eur. J. Mineral., 19, pp 849-857.).

Auch die Bezeichnungen "Rosette" und, daran angelehnt, „Rose" stehen eigentlich für eine andere Erscheinungsform, nämlich eine "igelartige", radiale Säulen-Ausbildung in magmatischen Gesteinen. Bildbeispiel 5 zeigt den Basaltfächer am Hirtstein im sächsischen Erzgebirge (Aufnahme: Steve Möckel; Quelle: wikipedia).

Welchen Namen die stattliche "Andesitrose" vom Hellerberg (Bildausschnitt 6; Aufnahme: Hahl) zukünftig nun tragen soll, wird natürlich in Freisen selbst zu entscheiden sein. Vielleicht fällt ja der engagierten Bürgerschaft ein passender neuer Name für ihre "Freisener Felsenkugel" ein?

"Andesitrose"? Nicht schlecht! "Freisener Felsscheibe"? "Steinerner Halbkreis am Hellerberg"? - Oder hätten Sie einen vielleicht einen noch besseren Vorschlag?

Ölberg - Relikt eines uralten Vulkanismus

Am Westrand des Odenwaldes ragen bei Schriesheim, aber auch bei Weinheim und Dossenheim, markante Felswände aus Wald und Weinbergen hervor. Es sind die charakteristischen Spuren alter Steinbrüche, die in einem quarzreichen Rhyolith („Quarzporphyr“) angelegt wurden. Aus der Übergangszeit zwischen Karbon und Perm stammend hat dieses vulkanische Gestein ein Alter von rund 300 Millionen Jahren.

Hervorgegangen sind sie aus einer früheren Gebirgsbildung, ähnlich der heutigen Heraushebung unserer Alpen. Diese Gebirgsbildung wurde schon seit dem Devon von Magmenintrusionen begleitet. Granitoide Schmelzen stiegen aus zunehmend größeren Tiefen der Lithosphäre nach oben, drangen zunächst in die unteren Stockwerke des Hochgebirges ein und schlugen zum Ende des Gebirgsbildungsprozesses bis an die damalige Erdoberfläche durch.

Bald schon begann die Erosion kräftig an dem Gebirge zu nagen. Dann kam es im Lauf von Jahrmillionen zu weiteren Ablagerungen: Jüngere Sedimentgesteine überdeckten die Granite und Rhyolithe aus der variszischen Zeit. Später, vor etwa 50 Millionen Jahren, als die Entwicklung des Oberrheingrabens begann und sich schließlich auch der Odenwald als Mittelgebirge emporhob, wurden die Reste des variszischen Grundgebirges freigelegt - und mit ihm kamen der Granit des Kristallinen Odenwaldes und der Rhyolith als Relikt des permokarbonen Vulkanismus wieder zum Vorschein.

Seit 1998 ist der stillgelegte und renaturierte Steinbruch am Ölberg ein Naturschutzgebiet und gehört mittlerweile zur Natura 2000-Gebietskulisse Baden-Württembergs. Ein Rundweg führt um die eindrucksvolle Felswand und ermöglicht faszinierende Fernblicke in den Steinbruch und weit über die Rheinebene. Eine Kletterverordnung hilft dabei, Naturschutz und Freizeitverhalten in Einklang zu bringen.


Veränderter Auszug aus:

HAHL, M. (2005): Im Land der Vulkane - Kontinente in Bewegung. Eine Exkursion zum permokarbonen und tertiären Vulkanismus im UNESCO-Geopark Bergstraße-Odenwald. In: Exkursionsführer zur 9. Internationalen Jahrestagung der Fachsektion GeoTop in der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften (DGG). Lorsch. S.85-90

Publiziert im GPS-Guidesystem "WanderWalter" unter http://karte.wanderwalter.de/naturpark-neckartal-odenwald/
Text/Foto: M. Hahl

11. August 2010

Phantom mit Pinselohren?

Dem Odenwaldluchs auf der Spur

Mit freundlicher Genehmigung des Naturparks Neckartal-Odenwald; Quellenangabe:
HAHL, M. (2010): Phantom mit Pinselohren? Dem Odenwaldluchs auf der Spur. In: Naturpark Neckartal-Odenwald (Hrsg.): Der Naturpark bewegt. Jahresprogramm 2010. Eberbach. S.4-10

Foto eines vom Luchs hinterlassenen Trittsiegels an der Bergstraße; Aufnahme:
Peter Schabel, NABU Kreis Bergstraße, mit freundlicher Genehmigung







„Es ist uns endlich bewusst geworden, dass wir zu einem lebenswerten Leben nicht allein materielle Dinge brauchen. Das Wort „Lebensraum“ sagt es ja deutlich: es ist ein mit Leben erfüllter Raum.“
(R. Hofrichter u. E. Berger 2004, Der Luchs)


Augen wie ein Luchs
Da saß er vor mir, ein leibhaftiger eurasischer Luchs. Nur wenige Meter von mir entfernt verharrte er auf einem Felsen und beobachtete mich wie beiläufig aus bernsteingelben Augen. Ich war fasziniert von dieser einheimischen Großkatze. Gleichzeitig wurde mir schwer ums Herz, denn – das schöne Wildtier saß hinter dem Gitterzaun eines Wildgeheges. Und so spannend es auch war, den Luchs aus der Nähe zu beobachten, war mir doch klar, dass sein Platz eigentlich da draußen wäre, irgendwo im dichten Unterholz eines Waldes, wie einst vor seiner nahezu völligen Ausrottung in Deutschland. Jahrhundertelang wurde diese heimische Katzenart bejagt, ehe das letzte Exemplar Baden-Württembergs im Jahr 1846 auf der Schwäbischen Alb erschossen wurde.

Rückkehr auf leisen Pfoten
Meine erste Luchsbegegnung im Wildpark ist dreißig Jahre her. Heute kehrt der nahezu schäferhundgroße Beutegreifer mit Pinselohren und Stummelschwanz in deutsche Mittelgebirge zurück. Für Menschen ist er völlig ungefährlich, darüber sind sich alle Wildbiologen einig. Der Luchs, dessen Beutespektrum vor allem das Reh, aber auch Kleinsäuger umfasst, unterliegt strengen europäischen und nationalen Schutzbestimmungen. Zwar gibt es in Deutschland bislang keine stabilen Luchspopulationen, die den Bestand langfristig sichern könnten, doch Wiederansiedlungsprojekte wie im Harz und größere Vorkommen wie im Bayerischen Wald und in den Alpen nähren Hoffnungen auf eine Rückkehr der Großkatze. In Baden-Württemberg sind seit vielen Jahren einzelne Luchse nachweisbar. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) geht davon aus, dass sich Schwarzwald und Schwäbische Alb mit dem Donautal als Luchslebensraum eignen, sofern wir Menschen seine Ausbreitung aktiv unterstützen. Auch durch Hessens Waldgebiete streift Europas größte Katzenart. Und wie steht es dort um den Luchs, wo die südhessischen und nordbadischen Wälder aneinander grenzen: im Odenwald?

Ein Luchsruf am Katzenbuckel?
Gerhard Neureither ist NABU-Vorsitzender in Waldbrunn und langjähriger Jagdpächter. Als ich ihn auf mögliche Luchsvorkommen im Odenwald anspreche, erzählt er mir von einem Jäger, der kürzlich zu Besuch kam und prompt Luchsrufe am Katzenbuckel gehört haben will. Jägerlatein? Der besonnene Neureither weiß zu berichten, sein Kollege, welcher Luchslaute aus den Karpaten kenne, sei sich ganz sicher gewesen. Im Monitoring der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA), durch das wichtige Hintergrundinformation über die Bestandsentwicklung des Baden-Württemberg-Luchses ermittelt wird, wäre dieser Ruf vom Katzenbuckel allenfalls in die Kategorie „C3“ einzustufen, welche diejenigen Beobachtungen, Lautäußerungen oder gemeldeten Risse, Haare, Kotfunde und Trittsiegel umfasst, die nicht von anerkannten Luchs-Experten überprüft werden können. Unter „C2“ laufen dagegen alle durch eine Expertise bestätigten Hinweise und „C1“ sind schließlich die „hard facts“: eindeutige Fotobelege, genetische Nachweise, eingefangene Luchse oder Totfunde. – Da es im Odenwald bislang keinerlei „C1“-Dokumentationen gibt, sehen manche den Luchs als Phantom, von dem niemand so genau weiß, ob er zwischen Main und Neckar tatsächlich anzutreffen sei oder nicht. „Die Unsicherheit darüber ist groß“, erklärt mir Thomas Glasbrenner, Förster aus Waibstadt und Wildtierbeauftragter für den Rhein-Neckar-Kreis, auf meine Frage nach Luchssichtungen im Odenwald. Sein Mudauer Kollege Thilo Sigmund, für den Neckar-Odenwald-Kreis als Wildtierbeauftragter zuständig, äußert sich ebenfalls vorsichtig und weiß, dass sich bei vielen vermeintlichen Luchsrissen nach näherer Untersuchung gezeigt habe, dass die Beute gar nicht von der Großkatze stamme.

„Gibt es ihn bei uns?“
Die Frage stelle ich schließlich auch Peter Schabel, Vorsitzender des NABU-Kreisverbandes Bergstraße und offizieller Luchsberater dieses Landkreises. „Klar gibt’s den Luchs im Odenwald!“, antwortet er und berichtet mir von einer nächtlichen Begegnung im Jahr 2006, als er über mehrere Minuten den Rufen zweier Luchse lauschen konnte. Bis dato hatte der profunde Kenner heimischer Fauna solche Lautäußerungen noch nicht gehört. In der Dunkelheit waren nur schemenhafte Schatten zu erkennen. Als er auf eine Audio-Datei mit Luchsrufen stieß, wurde ihm schlagartig klar, was er in jener Nacht erlauscht hatte. Einige Monate später fand er dann Trittsiegel, die auch vom Arbeitskreis Hessen-Luchs eindeutig als Luchsspuren verifiziert werden konnten: asymmetrisch, ohne Krallenabdrücke und bis zu 10 cm Durchmesser. „Ein Luchs streift durch das Weschnitztal“, titelte die Presse im Juli 2006. Inzwischen hat Schabel allein für den Kreis Bergstraße 25 Luchsmeldungen erhalten. Seit seiner nächtlichen Luchssinfonie ist er sicher, es gibt mindestens zwei im Odenwald, vielleicht mehr. Eine Genanalyse könnte bald einen C1-Beleg erbringen. Ob die Tiere aus Gehegen ausgebrochen oder zugewandert sind, bleibt unklar. Auch Gerhard Sauer bestätigt die Präsenz des Luchses und konnte Trittspuren sichern. Er ist emeritierter Biologie-Professor und seit Jahren bemüht, Luchspuren im hessischen Odenwaldkreis zu dokumentieren.

Nur ein Katzensprung
Da sich Wildtiere nicht nach Landesgrenzen richten, wäre es für den Luchs also nur ein „Katzensprung“ in den badischen Teil des Mittelgebirges: Ist auch der Naturpark Neckartal-Odenwald ein Landstrich für die Großkatze? Manfred Robens, Geschäftsführer des Naturparks und Teilnehmer der vom Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum im Jahr 2004 initiierten Arbeitsgruppe Luchs Baden-Württemberg informiert mich über zwei dokumentierte Sichtungen der C3-Kategorie aus dem Spätjahr 2008: In Mudau will ein Jäger minutenlang einen Luchs in einer Vollmondnacht beobachtet haben, und eine weitere Sichtung schildert ein Autofahrer, der zwischen Brombach und Heddesbach durch das Beifahrerfenster den Kopf einer Großkatze mit spitzen Ohrpinseln, Backenbart und ausgeprägter Zeichnung betrachten konnte. Auch das Monitoring auf der Website der AG Luchs dokumentiert C3-Hinweise für den badischen Odenwaldraum.

Akzeptanz großer Beutegreifer
Baden-Württemberg ist Luchslebensraum. Ein sorgfältiges Wildtier-Management unter Einbeziehung aller Interessengruppen ist erforderlich: Bauern und Schäfer, Jagdpächter, Vertreter von Forst und Naturschutz sowie Akteure im Naturtourismus. Auch Entschädigungsfonds für seltene Nutztierrisse werden bereitgestellt. Sachliche Aufklärung ist zu leisten. Überkommene Mensch-Wildtier-Beziehungen aus dem 19. Jahrhundert, die Luchs und Wolf als Schädlinge ansahen, benötigen eine gründliche Entmythologisierung. Expertisen von Wildbiologen wie Gerhard Arndt bei der AG Luchs werden zunehmend wichtig. „Die Diskussion muss vorsichtig und auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen geführt werden,“ erklärt mir auch der Koordinator des Harzer Luchsprojekts Ole Anders. Länderübergreifende Monitorings und modellhafte Projekte mit Forschungscharakter tragen wesentlich dazu bei, Interessenkonflikte zu lösen.

Raus aus der Isolation!
Luchse sind Einzelgänger. Männliche Tiere, Kuder genannt, besetzen eine Reviergröße von durchschnittlich 100 km² und dulden keine Konkurrenten. Für halbstarke Jungluchse bedeutet das, sie müssen abwandern. Dass Luchse ausgesprochen weite Wege zurücklegen können, um neue Territorien zu finden, demonstriert das aktuelle Beispiel eines mit GPS-Sender ausgestatteten, männlichen Harzluchses mit dem kryptischen Namen „M2“: Im Jahr 2009 legte er bislang 100 km Luftlinie von Niedersachsen bis Nordhessen zurück. Wenn man die Reviergröße der Luchse kennt und gleichzeitig weiß, dass ein Mindestbestand von 50 bis 100 erwachsenen Tieren erforderlich ist, um eine genetisch überlebensfähige Luchspopulation zu sichern, dann wird klar, dass die Spezies Lynx lynx in Deutschland wohl nur dann eine Überlebenschance hat, wenn sich die einzelnen Kleinvorkommen verbinden und ein genetischer Austausch möglich wird. Eine aktive Luchsauswilderung wird zwar diskutiert, findet aber derzeit noch keinen breiten Konsens, daher sind intensive Wanderungen wie die von „M2“ notwendig. Dass die ein oder andere besonders wanderfreudige Großkatze von Süden oder von Norden auch den Odenwald erreichen kann, ist denkbar. Somit könnte unser Mittelgebirge durchaus zu einem verbindenden Trittstein für isolierte Luchsvorkommen werden.

Ein Brückenschlag für Wildtiere
Flüsse sind für den Luchs kein allzu großes Hindernis. Barrierewirkung haben allerdings Siedlungen, intensiv genutzte landwirtschaftliche Gebiete und vor allem stark befahrene Straßen und Bahntrassen. Flächenverbrauch und Landschaftszerschneidung sind eine immense Gefahr für den seltenen Luchs und viele weitere schützenswerte Wildtiere. Ein Umdenken in der Siedlungs- und Verkehrspolitik empfiehlt auch das Umweltbundesamt. Für die Sicherung der Artenvielfalt ist die Einrichtung von Wildtierkorridoren dringend erforderlich, Querungshilfen wie Grünbrücken und Tunnels sowie Biotopverbund sind gefragt. Straßenbauer und Umweltschützer müssen eine gemeinsame Sprache finden. „Stark in die Öffentlichkeit getragene Einzelnachweise erwecken den Anschein, die Rückkehr des Luchses wäre bereits auf gutem Wege. Sie lenken aber davon ab, dass unter den derzeitigen Bedingungen in absehbarer Zukunft kaum mit der dauerhaften Etablierung des Luchses zu rechnen ist“, so urteilt EuroNatur ernüchternd. Dennoch: Die Großkatze könnte Mensch und Natur verbinden. Vielleicht setzt die ebenso faszinierende wie fragile Präsenz des Odenwaldluchses neue Impulse und verleiht dem heimischen Artenschutz ein imposantes Gesicht – eines mit Pinselohren!

Wildtierbeauftragte für plausible Luchsmeldungen:
Rhein-Neckar-Kreis: Thomas Glasbrenner, Tel.: 07261-974820
Neckar-Odenwald-Kreis: Thilo Sigmund, Tel.: 06284-929237
24-Stunden-Hotline der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA): 0761-4018274
Kreis Bergstraße und Odenwaldkreis: Harri Pfaff, Tel.: 06226-784055 / mobil: 0175-5726788 und Peter Schabel, mobil: 0172-6289927
Gerissene Rehe unberührt am Fundort belassen!

Den Artikel finden Sie auf den Seiten 4-10 im Jahresheft des Naturparks Neckartal-Odenwald - zusammen mit Luchsfotos von Andreas Held. Der Beitrag wurde weiterhin auf der Website des Arbeitskreises Hessenluchs veröffentlicht.