19. April 2010

Eyjafjallajökull - ein klimawirksamer Ausbruch?

Essay von Michael Hahl

Flüge fallen aus, Geschäftsreisende und Urlauber dürfen ihren Aufenthalt unfreiwillig verlängern und Politiker müssen im Nirgendwo zwischenlanden - halb Europa gerät in ein Mobilitätsdurcheinander. Grund: Ein Minivulkan am isländischen Eyjafjalla-Gletscher spuckt einige Kubikmeter Pyroklastika in die Luft und Düsenjets mit ihren empfindlichen Triebwerken meiden die mit den Westwinden bewegte vulkanische Aschewolke wie der Teufel das Weihwasser. Ein kleiner Vulkanausbruch mit großer Wirkung also! Sind am Ende sogar klimatische Auswirkungen zu erwarten wie bei den berühmten Ausbrüchen des Mount St. Helen, des Pinatobu, vor allem aber des Krakatau 1883 oder gar des Tambora in den Jahren um 1815? - Nicht wirklich, so wie es aussieht, denn: Sowohl die Produkte des vulkanischen Ausstoßes als auch schlichtweg die geringe Masse an Pyroklastika machen den Eyjafjallajökull zu einem im Vergleich zu einigen großräumig und langzeitlich klimawirksamen Ausbruchdisastern recht unbedeutenden vulkanischen Nebenschauplatz.

Für einen klimatischen Effekt durch explosive Ausbrüche sind nicht die vulkanischen Aschen verantwortlich, das heißt die Silikatpartikel mit einem Durchmesser von weniger als zwei Millimetern, sondern vor allem die vulkanischen Gase. Insbesondere Schwefelgase können durch eine Eruption mitunter bis in die Stratosphäre gelangen und dort - eine ausreichende Masse an Aerosolen vorausgesetzt - in Form feiner Tröpfchen aus schwefeliger Säure die Sonnenstrahlung abdunkeln und Klimaschwankungen herbeiführen. Das heißt: Jene Aschepartikel, die sich für die Triebwerke der Jets aktuell so fatal auswirken können und den europäischen Luftverkehr lahmlegen, sind weit weniger klimawirksam als die für Flugzeugdüsen harmlosen Gase.

Darüber hinaus haben die schicksalsträchtigen Ausbrüche des Tambora um 1815 oder des Krakatau 1883 weitaus (!) mehr Asche und Gase gefördert als der isländische "Minivulkan" unter dem Eyjafjalla-Gletscher es wohl jemals schaffen dürfte. Natürlich kann niemand abschließend vorhersagen, welche Mengen an Pyroklastika bei den gegenwärtigen isländischen Aktivitäten entstehen; bislang bringt der Gletschervulkan es gerade mal auf 25 Millionen Kubikmeter. Dagegen stehen 18 Milliarden Kubikmeter bei der berühmten Krakatau-Eruption und gewaltige 160 Milliarden Kubikmeter bei der neuzeitlichen Tambora-Aktivität im indonesischen Archipel. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ähnlich gigantische Massen nun auch im isländischen Raum aufkommen könnten.

William Turner malte in den 1840er Jahren das Heidelberger Schloss. Die magischen Farben seiner Spätwerke wurden von dem visuellen Effekt atmosphärischer Vulkangase beeinflusst.
(Bild:
wikipedia - Turner, Heidelberger Schloss, 1844)

Die globale Ausbreitung vulkanischer Aschen und Gase ist bei äquatorialen Ausbrüchen meist viel größer als bei nördlichen Aktivitäten, vor allem wenn, wie beim Tambora, die Auswurfprodukte in vermutlich bis zu 70 Kilometer Höhe geschossen werden. Zwar liegt die Tropopause, also der Übergang von der Troposphäre zur Stratosphäre, in den hohen Breiten (z.B. Island) deutlich niedriger als in Äquatornähe (z.B. Indonesien). Die Stratosphäre beginnt im Norden schon bei etwa sieben bis zehn Kilometer Höhe. Daher könnten Eruptionswolken aus dem Raum des Eyjafjallajökull leichter in die Stratosphäre gelangen und somit grundsätzlich auch klimawirksam werden. Und immerhin: Bereits am 23. März 2010 hat der explosive Ausstoß des Eyjafjalla-Vulkans 7000 Meter Höhe erreicht, mittlerweile sind es sogar 8000 Meter; die pyroklastischen Aussprenglinge dürften damit den unteren Bereich der Stratosphäre berühren. Doch: Die tatsächlichen Mengen an Aschen und Gasen blieben am kleinen Eyjafjallajökull - und mit weniger Ausnahmen auch bei anderen historischen Ausbrüchen größerer isländischer Caldera-Vulkane - bisher gering.

Katastrophal verlief allerdings der Extremausbruch des isländischen Laki-Vulkans in den Jahren 1783 und 1784: Damals trieb eine gefährliche Gaswolke mit giftigem Aerosolcocktail aus Schwefeldioxid und Fluoridpartikeln über den Planeten, löste dort, wo Tuffe niedergingen, die tödliche Krankheit Fluorose aus - ihr fielen rund 250.000 Weidetiere zum Opfer - und sorgte zudem auf der Nordhemisphäre für ungewöhnlich kalte Winter, verkürzte Vegetationsperioden und Missernten mit der Folge einer Hungersnot, die fast ein Fünftel der Isländer Bevölkerung das Leben kostete; 10.000 Menschen starben. Dabei schoss der Laki lediglich 0,3 Milliarden Kubikmeter Pyroklastika in die Atmosphäre und ist mit Tambora oder Krakatau daher nicht vergleichbar - dennoch wirkte er sich gravierend auf das globale, insbesondere das nordeuropäische Klima aus.

Das "Jahr ohne Sommer" mit Missernten und Hungersnöten - der Anfang vom Ende des Odenwaldweilers Unterferdinandsdorf.
Ausgelöst wurde diese historische Klimaschwankung vom explosiven Ausbruch des Tambora 1815.
(Foto: Hahl 2008)

Aber an die Wirkkraft des Tambora kommt selbst das ungeheure “Laki-Feuer” nicht heran. Der aktuelle Ausbruch des Eyjafjallajökull scheint derweil weit davon entfernt, mit den Folgen jener isländischen Eruption gleichzuziehen oder sich gar mit dem gigantischen Tamboraereignis im April 1815 zu messen (heftiges vulkanisches Geschehen hatte damals bereits einige Jahre zuvor eingesetzt), durch das ein "Jahr ohne Sommer 1816" ausgelöst wurde: mit Kälte und Schnee in den Sommermonaten, verdunkeltem Sonnenlicht und jahrelangen Missernten in Nordamerika und Europa. Der historische Schneesommer hat seinen tragischen Stammplatz auch in den Annalen des Odenwaldes gefunden und wirkte sich hart auf die ohnehin verelendeten Ortschaften aus. In dem 1850 aufgelösten Ferdinandsdorf leiteten die hierdurch verursachten Missernten und Teuerungen gar den wirtschaftlichen Untergang ein. Ein Drittel der Dorfbewohner emigrierte nach Amerika, alle anderen wurden in benachbarten, nicht viel weniger verarmten Siedlungen untergebracht. - Solche gravierenden Effekte sind vom Eyjafjallajökull heute wohl nicht zu erwarten. Bezogen auf die Aerosolmassen und ihre Klimawirksamkeit spielt die gegenwärtige Aktivität auf Island in einer anderen vulkanischen "Liga" als die explosiven Eruptionsriesen Tambora, Krakatau oder Laki.

Vulkanisches Geschehen ist schwer vorhersagbar, gerade an Lokalitäten wie Island, das sich direkt auf dem Mittelatlantischen Rücken befindet, also an der aktiven Kontinentalgrenze zwischen der Nordamerikanischen und der Eurasischen Platte. Dennoch ist ein größerer Ausbruch nach derzeitigen Erkenntnissen nicht zu befürchten. - Falls der Zeitraum 2010 durch den Gletschervulkan am Eyjafjalla doch noch zu einem "Jahr ohne Sommer" werden sollte, dann wohl nicht aufgrund vulkanisch bedingter Klimaschwankungen, vielleicht aber für diejenigen potenziellen Flugreisenden, die ihren Ferienausstieg gen Süden planen und, im Falle anhaltender Ascheeruptionen auf Island und stabiler Hochdrucklagen mit geringen Luftströmungen über Europa, ihren Südtrip gegebenenfalls ausfallen lassen müssen. Womöglich boomt bei uns bei einer fortdauernden Aktivität des Eyjafjallajökull gar der Deutschlandtourismus im Sommer 2010? Und vielleicht geht es dann statt mit dem Flugzeug auf die Balearen beispielsweise ins Ferienland, wo der Odenwald am höchsten ist: zum Vulkanrelikt Katzenbuckel - warum auch nicht?!

Explosiver Vulkanismus am Katzenbuckel: Vor nahezu siebzig Millionen Jahren wurden auch hier vulkanische Aschen in die Atmosphäre geschossen!
(Foto: Hahl 2009)






Literatur

HAHL, M. (2008): Ferdinandsdorf – Amerika! Schicksalhafte Geschichte einer Wüstung im südöstlichen Odenwald. In: Eberbacher Geschichtsblatt 2008, Folge 106. S.75-83
LAMB, H.H. (1994): Klima und Kulturgeschichte. Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte. Reinbek.
SCHMINCKE, H.-U. (2000): Vulkanismus. Darmstadt.
sowie diverse Internet-Links zum aktuellen Ausbruch des Eyjafjallajökull

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Anregender und informativer Beitrag, insbesondere angesichts immer wieder kehrenden Medienberichten, die - ähnlich wie Vulkanasche - mehr Undurchsichtigkeit, denn informative Aspekte aufzeigen. Aber auch die lokalen Bezüge sind in ihrem Beitrag schön aufgezeigt. Bravo!
Jörn Rebholz, ffm

Michael Hahl hat gesagt…

Herzlichen Dank, lieber Jörn Rebholz aus ffm!

Simmt, vielleicht sollte man den Begriff "Informationsflut" treffender in "Informationsasche" umwandeln?