30. April 2013

„Grüner Norden – wo Deutschlands Süden beginnt!“

Interregionale Identität oder die Neuerfindung einer Tourismusregion im nördlichen Baden-Württemberg

Michael Hahl

Im Januar 2013 wurde eine Kooperationsvereinbarung besiegelt, welche fortan die sieben Tourismusgemeinschaften im Norden Baden-Württembergs stärker zusammen schmieden soll. Mit einem neuen Marketingauftritt können die überregionalen Angebote im Wander- und Fahrradtourismus sowie die Themen Wein und Kultur besser kommuniziert und gemeinsame Werbebudgets generiert werden. Mit der neuen „Tourismuskooperation Nördliches Baden-Württemberg“ treten die Tourismusverbände "Odenwald" (TGO), "Kurpfalz", "Heilbronner Land", "Hohenlohe", "Hohenlohe-Schwäbisch Hall", "Liebliches Taubertal" und "Kraichgau-Stromberg" stärker als Einheit auf. – Einheit? Das trifft die Sache vielleicht nicht ganz, denn von einer gemeinsamen Identität scheint man im Norden des Landes doch recht weit entfernt.

Sieht man sich die kleinen nord-baden-württembergischen Gebiete zwischen Stuttgart, Heidelberg und bis hin zur A7 einmal auf der Karte an und verortet die jeweiligen Tourismusverbände, so scheint es allerdings mehr als angemessen, den südlichen Riesen „Schwarzwald“, „Region Stuttgart“, „Schwäbische Alb“ und „Bodensee“ ein starkes Nordgewicht entgegenzusetzen. BW-Nord kann und sollte vielleicht – auch vor dem Hintergrund einer Tourismus Marketing GmbH (TMBW) auf Landesebene – sogar noch um einiges stärker als Bundesland-Baustein heimischer Ferienregionen wahrgenommen werden. Ließe sich aus der Tourismuskooperation gar eine „Dachmarke“ schaffen und wäre das effektiv oder würde man damit nur mühsam zusammenschmieden, was eigentlich nicht zusammen gehört? Genug Stoff für ein kleines tourismusgeographisches Brainstorming ...

Vor dem Millennium gab es noch einen so genannten „Fremdenverkehrsverband Neckarland-Schwaben" mit Sitz in Heilbronn. Dieser umfasste die Schwäbische Alb, "Neckar-Hohenlohe", den Schwäbischen Wald, das „Liebliche Taubertal“, den mittleren Neckar (inklusive Stuttgart), Kraichgau und Stromberg sowie Neckartal-Odenwald und die Kurpfalz (inklusive Mannheim und Heidelberg). Das war wohl etwas zu groß geraten, denn ab 1999 setzte sich der Trend zur Dezentralisierung durch, um die Landstriche individueller touristisch entwickeln und vermarkten zu können. Mit der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (sowie der Heilbäder und Kurorte Marketing Baden-Württemberg GmbH) wurde die touristische Markenbildung länderübergreifend organisiert; deren operative Umsetzung lag weiter in den Händen der regionalen Tourismusverbände. Innerhalb der TMBW scheint es jedoch – und das ist eben die Ausgangshypothese dieses mentalen Sturms und Drangs – „Riesen“ und „Zwerge“ zu geben; auch wenn sich die Nordregionen zu Recht gegen den hier etwas provokativ ausgerufenen und natürlich auch vereinfachten Zwergenstatus beschweren werden. Lassen wir es dennoch mal so stehen, als pfiffige Arbeitsthese sozusagen.

Ein homogenes Auftreten der Regionen im Norden Baden-Württembergs, um gegebenenfalls eine Dachmarke schaffen zu können, scheint schon aus naturräumlicher und kulturgeschichtlicher Perspektive deutlich schwieriger als etwa im Schwarzwald – der klassischen Dachmarke des innerdeutschen Tourismus. Nördlich von Stuttgart sind die Gebiete uneinheitlicher; eine gemeinsame Identität ist hier in der Tat nicht vorgegeben. Im Nordwesten, das heißt im überwiegend badischen Odenwald mit dem unteren Neckartal, ist man traditionell eher in Richtung „Kurpfalz“ orientiert; irgendwo zwischen Eberbach und Mosbach pendelt die regionale Identität dann allmählich in andere Gefilde; der Grenzsaum zwischen Baden und Württemberg spielt da ebenfalls mit hinein. Hinzu kommt im Nordwesten die – aus der Perspektive des Tourismusmarketings nicht immer einfache – Verknüpfung mit dem hessisch-badisch-bayerischen Dreiländereck, aus welcher der badische Odenwald leider oftmals als Verlierer hervorgeht, wenn das Mittelgebirge wieder mal in irgendeinem Reiseführer als hessisches Naturrefugium dargestellt wird.

Die übrigen Teilregionen im Norden Baden-Württembergs sind wiederum in andere Traditionen eingebunden und ebenso heterogen. Der Kraichgau im Westen und das Taubertal im Osten gehören sicherlich nicht so richtig zusammen und selbst die unmittelbar benachbarten Regionen Hohenlohe und Heilbronner Land sind sehr unterschiedlich aufgestellt. Doch es gibt sie vielleicht doch, die gemeinsame Basis: Wenn man etwa von der Raumordnung Baden-Württembergs ausgeht, dann werden aus sieben Gebieten immerhin nur noch drei. In der Regionalplanung treffen sie nachbarschaftlich aufeinander: Region Heilbronn-Franken (mit dem Landkreis Heilbronn, dem Hohenlohe-Kreis, dem Landkreis Schwäbisch-Hall und dem Main-Tauber-Kreis), der östliche Anteil der Metropolregion Rhein-Neckar (Rhein-Neckar-Kreis und Neckar-Odenwald-Kreis) sowie ein Teilgebiet der Region Mittlerer Oberrhein (mit dem Kraichgau). Ist der Norden Baden-Württembergs also doch nicht so weit voneinander entfernt? Ließe sich die regionalplanerische Dreiheit auf eine touristische Einheit übertragen? Ist alles, auch im Tourismusmarketing, eine Frage der Raumordnung respektive der interregionalen Identitätsbildung?

„Raum“ ist eine dynamische Kategorie. Er wird durch das Wechselspiel mit seinen Akteuren und deren Interessen immer wieder neu produziert. Längst weiß man in Fachkreisen, dass regionale Landschaften aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden können, etwa unter naturwissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen oder künstlerischen Aspekten beschrieben werden müssen. Im Fokus der Postmoderne scheinen althergebrachte Kategorien schneller als früher verloren zu gehen oder immer wieder dynamisch neu zu entstehen. Die klassische Definition einer „ländlichen Region“ muss beispielsweise durch Mobilität und Massenmedien zunehmend relativiert werden, während neue Siedlungsstrukturen in urbanen Räumen die Stadt-Land-Grenze von der anderen Seite her aufweichen. Mit den Wechselwirkungen zwischen Raum und seinen Akteuren gestaltet sich auch ein Wandel regionaler Identität.













So betrachtet ist es letztlich eine Frage der kreativen Inkorporation, ob sich die Teilräume im nördlichen Baden-Württemberg womöglich doch leichter als gedacht als innovative touristische Dachmarke entwickeln lassen könnten. Die Zeichen der Zeit mögen zwar in anderer Hinsicht auf Dezentralisierung und Regionalisierung gestellt sein und das ist in punkto Regionalentwicklung und heimische Wirtschaftskreisläufe sicher auch effektiv und diesem Prozess soll keineswegs gegengesteuert werden, Doch innerhalb der Strukturen des länderübergreifenden Tourismusmarketings Baden-Württembergs ist eine interregionale Kooperation der nördlichen „Zwerge“ eben noch einmal in einem anderen Kontext zu sehen. Die Neuerfindung einer gemeinsamen touristischen Identität wäre vor diesem Background schlicht ein Instrument zur Stärkung der nord-baden-württembergischen Regionalwirtschaft.

Wir stürmen also unbeirrt weiter ... Identität braucht einen Namen. Und weil der Begriff Tourismuskooperation Nördliches Baden-Württemberg“ definitiv zu sperrig fürs Marketing ist, wäre zu überlegen, wie man das Kind aus der Taufe heben könnte. Hier sind nun die Dichter und Denker gefragt, oder die Werbetexter ... Im Webauftritt der TMBW ist von einer „Region Grüner Norden des Südens“ die Rede – allenfalls als Arbeitstitel brauchbar, mit Verlaub. Obwohl, „Grüner Norden“, das klingt schon mal gar nicht so schlecht, oder? Ich kreiere mal munter weiter: Grüner Norden – wo Deutschlands Süden beginnt!“ Wär doch was; damit gehe ich hier mal ins Rennen ... Oder lieber eine ganz neue Wortschöpfung, ein poetisches Kunstwort mit Bezug zu den betreffenden Locations? – Also, schauen wir doch mal, wie es mit der „Tourismuskooperation Nördliches Baden-Württemberg“ womöglich noch so weitergehen könnte ...

Anmerkung: Neben der 2013 beschlossenen „Tourismuskooperation Nördliches Baden-Württemberg“ gibt es bereits ergänzende kooperative Initiativen, die in diesem Kontext erwähnt werden sollten: Stellvertretend für solche interregional identitätsstiftenden Kräfte sei hier noch auf die Vernetzung der baden-württembergischen Naturparke - vgl. http://www.naturparke-bw.de/ - sowie auf das kulturtouristische Netzwerk KIRA - vgl. http://kiratour.de/ - hingewiesen, das Angebote der Region Heilbronn-Franken bündelt und deren Marketing und Vernetzung unterstützt.

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